Männer und Enten

Walt und Tick, zwei Kunststudenten, am Kneipentisch. Selbstbefriedigung, sagt Walt, sei genauso gut wie mit einer Frau zu schlafen. Tick widerspricht: Selbstbefriedigung sei lange nicht so gut wie mit einer Frau zu schlafen. Walt unterstellt Tick, er habe gesagt: "Schade, dass du keine Frau bist". – "Du drehst mir das Wort im Mund herum", protestiert Tick. Walt lacht, "da bin ich genauso wie meine Schwester", er seufzt: "Die hat einen Macker, der heißt auch noch Donald wie eine Comicfigur". Der sei nicht der Richtige für seine Schwester, den liebe sie nicht. Er habe schreckliche Szenen miterlebt, Donald habe geweint. "Sie ist wie mein Südpol", sagt Walt. Gemeinsam hätten sie davon geträumt, dass er mit seinen Bildern Geld verdiene und Waltraut ihn managen werde.

Waltraut und Donald sind hinzugekommen. Vor Donald steht ein Glas Mineralwasser. Waltraut schilt ihn: "Du entziehst dich wieder mal der Gemeinschaft". Tick mischt sich ein: "Man kann auch mit Mineralwasser lachen". – "Naja", sagt Waltraut. Ein betrunkener Fußballfan, Trikot mit der Nummer Sechs, schwarze Fingernägel, tatscht Waltraut aufs Haar. "Kindchen, was hast du für schöne Augen", lallt er, "kannst du mir einen ausgeben?" – "Komm her", ruft ihn Walt, "du kannst mein Bier haben". Die Nummer Sechs trinkt Walts Bier. "Die Schlampe ist meine Schwester", sagt Walt. "He", ruft die Nummer Sechs, "hast du gehört, wie der dich genannt hat?" – "Das ist mein Bruder", lacht Waltraut, "der darf alles". – "Ätsch, haha", macht Walt, "hast du gehört?", fragt er die Nummer Sechs, "ich darf mehr als du!" – "Du hast so schöne Augen", verabschiedet sich die Nummer Sechs. Waltraut murmelt: "Immer sind es die Augen". Während Waltraut und Donald sich küssen, kommentiert Walt sarkastisch: "Da spielen sich ja rührende Szenen ab."

Donald ist nach Hause gegangen, Walt, Waltraut und Tick sind in eine Schwulenbar geraten. Laute Musik. "Du musst mir jetzt einen Kuss geben", sagt Walt zu Tick. "Was?", fragt Tick, während er hat sich hoffnungsvoll zu Waltraut wendet, "ich soll dir einen Kuss geben?" - "Nein!", Walt fasst mit einer Geste rosa Samtbehänge und tändelnde Männerpaare zusammen: "Du sollst mir einen Kuss geben".

Sie stehen an der Bar. "Wahrscheinlich", sagt Waltraut zu Walt, "wird dir gleich einer an den Arsch fassen". – "Was", fragt Tick, der wegen der Musik alles nur halb versteht, "dir hat jemand an den Arsch gefasst?" – "Nein", sagt Walt, "aber wir können die Plätze tauschen". Tick lacht gezwungen; Walt brüstet sich: "Mir macht das nichts aus".

"Mitternacht", sagt Waltraut, denn Walt hat heute Geburtstag und Tick öffnet seine Zeichenmappe, die er schon den ganzen Abend mitgeschleppt hat. Darin ist ein Bild, gemalt von Tick: Micky Maus im Schaukelstuhl fletscht die Zähne, "Für Walt von Tick", hat er das Kunstwerk signiert. Waltraut nimmt es, hebt es hoch und lacht. Da habe er, sagt Walt zu Tick, wohl eine Bewunderin gefunden. Waltraut zeigt auf Micky Maus und fragt Tick: "Bist du das?" – "Ich bin doch keine Maus!", protestiert er.

Walt fragt, in welches Lokal sie jetzt gehen, Waltraut sagt: "Das soll Tick bestimmen."

Walt, Waltraut und Tick am Kneipentisch. Waltraut und Walt sind betrunken:"Weißt du nicht, dass Schnaps geil macht?", sagt sie zu ihm, und zu Tick: "Du bist eine gespaltene Persönlichkeit". Der hat sich an Donald ein Beispiel genommen und seit Mitternacht nur Mineralwasser getrunken. Wieso er eine gespaltene Persönlichkeit sei, möchte er nun wissen, aber Waltraut will nicht antworten, "du kannst es mir ins Ohr flüstern", schlägt er vor, aber Waltraut dreht ihren Kopf weg. "Weil", antwortet sie endlich, "du so ernst bist und so lustig zeichnest". Tick ist enttäuscht: "Dabei bemühe ich mich so nicht ernst zu sein." – "Ich wünschte, ich wäre so", flüstert Waltraut.

Unterdessen hatte Walt noch an Waltrauts Bemerkung zu knacken, dass Schnaps geil mache. "Wann bist du nicht geil?", provoziert er, Waltrauts Männergeschichten seit sie 13 war, ob Donald oder Dagobert, "alles Witzfiguren". - "Haste recht", lacht Waltraut. "Gar nicht so einfach", meint Walt jetzt zu Tick, "wenn deine Schwester mit anderen Männern bumst", dann weinerlich: "mit Dagobert habe ich mir solche Mühe gegeben .." - "Mit dem war ich neun Jahre zusammen", erläutert Waltraut. - "Und was lief alles nebenbei?", fragt Walt, und zu Tick: "Wie würdest du dich wohl fühlen, wenn deine Schwester plötzlich mit einem Kumpel von dir im Gebüsch verschwindet? – Und ausgerechnet mit Dussel", beschuldigt er Waltraut. "Er war doch dein Freund", rechtfertigt sie sich. Alle schweigen. "Ich dachte", sagt Waltraut, "wenn er schon dumm ist, dann fickt er vielleicht wenigstens gut". Walt beharrt, für ihn sei das grotesk gewesen. "Eifersucht?", fragt Waltraut. "Nein, keine Eifersucht", sagt Walt, "eher ein Kummer". – "Ja, ich weiß", murmelt Waltraut. Sie fragt: "Hast du von Dussel noch mal was gehört?" - "Der ist total fett geworden", antwortet Walt und sie meint, angeekelt, der sei jetzt bestimmt schon 40. Nein, widerspricht Walt, der müsse so 25 sein, "genau das richtige Alter für dich", grinst er, und zu Tick: "Du bist doch auch 25".

Es sei, sinniert Waltraut, ein bestimmter Typ Mann, der immer auf sie "reagiere", zum Beispiel die Nummer Sechs. "Walt und Tick gehören auch dazu", sagt sie wie zu einem Publikum. "Meinst du", fragt Tick verblüfft, "wir seien wie dieser Typ?". Aber Waltraut will wieder nicht antworten. "Ich meine", sagt Waltraut, "dass es immer eine sexuelle Anziehung gibt". – "Zwischen Geschwistern", sagt Walt. "Ja", sagt Waltraut, "du erzählst ja schon seit Jahren, dass du mit mir ins Bett gehen willst". – "Wie bitte?", fragt Walt, er habe nur einmal gesagt: Es wäre vielleicht interessant, Waltraut nickt, "Geh' doch nachher zu Daisy", schlägt sie ihm vor, "die hat's nötig". Walt schweigt. Tick meldet sich: "Ich habe zwar keine Schwester, aber eigentlich ist doch nichts dabei". – "Inzest", sagt Walt tonnenschwer. "Aber man wird doch nicht bestraft", wendet Tick ein. "Natürlich wird man bestraft", sagt Walt, "wenn erst Kinder kommen, dann wird abgerechnet". Waltraut hat weiter getrunken; jetzt lässt sie ihren Kopf an Ticks Schulter fallen. Er legt einen Arm um sie. "Was soll das?", fragt Waltraut. Er nimmt seinen Arm fort. Da lässt sie eine Hand auf Ticks Schenkel fallen. Er streichelt ihre Hand. "Was wird das?", fragt Waltraut, sie zieht ihre Hand fort. Tick, entschlossen, ergreift Waltrauts Hand. "Wohin führt das?", fragt Waltraut, aber lässt ihm die Hand. Walt ist aufgestanden, er zieht seinen Mantel an; mit Haifischgrinsen betrachtet er die beiden. Waltraut wünscht ihm: "Viel Spaß bei Daisy". – "Viel Spaß mit dem Künstller", erwidert Walt. Nachdem er gegangen ist, küsst sie Tick und Tick küsst sie. "Was soll das geben?", fragt Waltraut.

Waltraut und Tick auf dem Weg zu Waltrauts Wohnung. Sie gehen Arm in Arm, Waltraut sagt: "Du fasst mich genauso an wie Donald", sie möge die Berührungen, sie sei ein sehr berührungshungriger Mensch und wenn sie getrunken habe, "kann man mich durch Berührungen geradezu willenlos machen". Sie habe sofort gewusst, was Tick von ihr wolle: "Du erinnerst mich an Donald". In bestimmten Lebensabschnitten treffe man nur bestimmte Typen. "Das ist nicht gut!" Sie bleiben stehen. Er versucht sie in den Arm zu nehmen, möglichst anders als Donald. "Was soll das werden?", fragt Waltraut. Er nimmt seinen Mut zusammen: "Wenn du mich mit zu dir nimmst, komme ich mit". – "Und was wird dann?", fragt Waltraut. "Was morgen wird, weiß ich auch nicht", antwortet Tick.

Sie gehen getrennt weiter. "Lebst du allein?", fragt Waltraut. Tick lebt allein. Wie das sei, fragt Waltraut. "Schrecklich", sagt Tick. Sie lacht. Tick berichtigt sich: Schrecklich sei nicht das Alleinleben, schrecklich sei, keine Frau zu haben. "Und warum hast du keine?", fragt Waltraut. "Ich bin zu schüchtern", vermutet Tick. "Du hast doch gute Chancen", ermutigt sie ihn, und fügt hinzu: Weil er ja wohl jede nehme. Es gebe soviele Frauen, er solle sich mal an Daisy wenden, "die wäre ein williges Opfer". Daisy", sagt Tick steif, finde er aber nicht attraktiv. "Wieso", fragt Waltraut, "die ist nur ein bisschen dumm". Das könne er nicht beurteilen, erklärt Tick. "Ja", meint Waltraut, "wir sind ja alle ein bisschen dumm".

Sie stehen vor der Haustür, Waltraut sperrt auf und äußert, dass sie sich eigentlich einen 40jährigen wünsche, der viel Geld verdiene, mit dem sie Kinder kriegen könne. "Geh nach Hause", sagt sie zu Tick, nachdem sie sich im Hausflur noch einmal von ihm hat küssen lassen.

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© Anthony Thwaites