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May 2011

2011-05-23

Abflug

Ich wache auf, sehe auf die Uhr, es ist ein Uhr morgens, aber taghell. Mein Flug geht um 1 Uhr 45, da scheine ich ja noch Zeit zu haben, fast eine Stunde, doch mein Verstand sagt mir, dass ich das nie schaffen kann: ich muss ja auch noch zum Flughafen kommen.

Das Zimmer hat Glaswände. Zwischen Sofa und Bett stehend sage ich zu meiner Mutter, ich schaffe es nicht mehr, und denke: eine Stunde, ich müsste es doch wenigstens versuchen, denn ich höre sie denken: Du Jammerlappen stellst dich bloß wieder an.

Ich muss es also versuchen und bin wütend auf meine Mutter. Immer mit der Ruhe, würde sie immer sagen, egal wie schrecklich der Zeitdruck ist. Sie fragt: "Wann fährst du denn?", in diesem typischen Tonfall, der vermittelt: Du regst dich nur wieder künstlich auf.

"Ein Uhr fünfundvierzig", japse ich, während ich panisch hin- und herrenne und klage, dass ich auch die letzten drei Flüge schon verpasst habe, obwohl mir das früher nie passiert ist. "Vorher nie und jetzt immer!", jammere ich, es ist zum  Verzweifeln: als ob ich mit einem Mal dazu verurteilt wäre den gleichen Fehler immer zu wiederholen.

Ich muss also ganz schnell meine Sachen zusammenpacken, keine Chance, aber ich muss es versuchen. Hilflos stochere ich in den Taschen, die ich fertigpacken müsste, doch irrsinnigerweise nehme ich Dinge heraus, statt sie einzupacken!

Ich suche nach dem Flugschein um mich der Abflugszeit zu versichern, finde ihn in der Stofftasche, ein Papierstreifen mit Aufdrucken, die Zeit steht oben, mittig, groß, handschiftlich, das weiß ich! Doch ich kann sie nicht sehen, so viel ich auch schaue, die Schrift verschwimmt, ich weiß die Zeit, aber kann sie nicht finden.

 

2011-05-22

The ignored offender

Sitting in the second row of a large cinema I'm watching a movie. While it is still running the curtain comes down part-way. I'm afraid I may have caused this by a mindless flick of my wrist just before. But the curtain didn't descend so far as to actually obscure my view of the screen. So I stop thinking about it.

When the show is over and the lights come on the curtain goes up instead of down. I'm wondering whether this new irregularity may still be connected to the curtain descending before. And I'm now worried and reproaching myself because I was thinking only about myself while other people, those in the back especially, may have been gravely impeded in seeing the movie. Whereas I was privileged in my position near to the screen and the steep viewing angle that gave me this unique perspective from almost beneath the curtain.

Many are now getting up from their seats, in particular the lady who's been sitting in front of me. Getting up abruptly she's walking through a bustle of moviegoers towards the stage below the screen where a woman is standing who looks like a cinema official: a black woman in a jacket and skirt. She's talking to her, she may be complaining about me. Then the official is indeed coming towards me. However, she ignores me completely and starts talking to the lady sitting next to me. I try to understand what she's saying but can't entirely make it out. She's speaking in such general and roundabout terms. Maybe she's saying that a complaint against me has indeed been lodged. And maybe I wouldn't have that impression if I didn't have a sense  of guilt. The suspense is killing me and I wonder whether I couldn't just get up and go.

When the official turns and leaves I'm finally losing my patience, I blurt out: "Why don't you talk to me?! - Nobody ever talks to me!"

 

2011-05-21

Die gefleckte Frau

Von einem Hof mit schönem Grün komme ich zum Haus. Die obere Hälfte der Tür ist verglast und öffnet in einen hellen, freundlichen Quergang. Ich öffne, doch hinter der Tür stehen Dinge im Gang, gegen die sie nun anstößt. Ich wundere mich, da vorher nichts dort stand. Ich drücke fest gegen die Tür, damit schiebe ich die Dinge soweit über den Boden, dass ich eintreten kann. Nun sehe ich, was das ist: eine Papiertüte und einige verpackte Schachteln stehen auf hellen Fliesen. Meine Vermieterin muss eben vom Einkaufen heimgekommen sein.

Ich gehe nach links durch den Gang bis in eine große, dunkle Küche. Meine Vermieterin ist hier. Sie sagt, ich müsse jetzt erst mal den Zähler ablesen und die Grundgebühr sei "drei Euro dreiunddreißig über die vier hinaus."

Ich blicke in ihr weiß-rot-schwarzes Gesicht. Es ist beschädigt, wie aus Flecken zusammengesetzt, das sind ihre schweren Brandverletzungen. Eine schlimme Entstellung, doch sieht man darunter wohlgeformte Züge, auch die Farben sind hübsch: jede für sich genommen natürliche Hautfarben einer weißen, roten oder schwarzen Frau.

 

2011-05-15

The robot wins but cannot win

It's night. I'm walking along a deserted lamplit street, no windows. Two figures are coming towards me, I already know what will happen: I'm a robot and they will try to switch me off. But I will not let them. One of them has a jerrican of liquid nitrogen which he will want to pour over the inside of my wrist and that will trigger the off swich.

They are robots themselves. Attacking one of them I succeed in bowling him over, his huge metal frame falls over backwards, crashing to the ground. The other one's got the jerrican but I take it from him and by jerking my arm I'm now hitting him with splashes of the stuff. Whereever he's hit there is hissing and he cries out in pain but still doesn't flee. So I continue until the liquid runs low and he's reeling, I'm winning, he'll go down very soon.

But I'm thinking that's strange, I know the narrative, it has happened before: I cannot win that fight. So if those two I seem to have beaten really are beaten then there must be another two who will do to me what's been done before. I know it, I remember, it has happened before.

 

2011-05-13

Suspension of the traffic rules

I'm behind the wheel. We are on a motorway driving towards the city. A line of cars is coming the other way - on my lane! It's a dangerous situation. Very careful now: slow down, swerve to the left. We made it! What a rare emergency, I'm thinking. Then it happens again: another group of wrong-way drivers. Then another. At least they're now using the emergency lane. Still it makes driving difficult and dangerous. For no reason! Or what is the reason? - The repetition suggests a common cause or justification. But what might that be? What is going on?

When we've come into the city there is another problem. I want to cross a large intersection and there is a congestion of pedestrians on the road. That's unusual, I'm thinking, sounding the horn and expecting them to get out of the way. At first they seem to be heeding it but when the crowd closes in again and I sound the horn repeatedly they apparently care less and less. Is this a mass decision to jaywalk? - What the hell is going on?! -I'm losing hope to ever reach the far side of the crossing. We seem to be drowning in an endless sea of dark figures on a grey background. Struggling to move along bit by bit I finally bump into somebody's knee. A hard bump, I'm sorry. I call out: "Damn' it!" - That was inappropriate. I should apologise.

My heart is pounding.

 

2011-05-04

Vater und Mutter

Ich befinde mich im Schlafzimmer meiner Eltern, sitze auf ihrem großen Bett und bin gerade dabei mit einer Nadel und einem Stück Zahnseide das offene Fußende meines alten Jugendherbergs-Schlafsacks zusammenzunähen, denn die bloßen Füße meines toten Vaters drängen dort heraus. Er steckt im Sack, liegt auf der Seite mit angewinkelten Beinen, beim Transport wird er wohl ausgestreckt werden, ich hoffe bloß, das Fußende platzt dann nicht wieder auf.

Eine Ewigkeit hatte ich das schon zunähen wollen, jetzt will ich es endlich machen, habe einmal durchgestochen und da - kommt meine Mutter herein, sie sagt: "Was machst du denn?" Damit bringt sie mich völlig aus dem Konzept, ich dachte, ich tue etwas Sinnvolles, aber nun muss ich mich anscheinend auch noch dafür rechtfertigen.

Eine Art lange Schrecksekunde folgt. Als ich danach quasi wieder die Augen öffne, ist meine Mutter gegangen. Ich blicke auf die Leiche meines Vater: nackt, unbedeckt liegt er auf der Seite, die Hülle wurde entfernt. Ich bin verwirrt, denke schließlich: Ich muss eine Gedächtnislücke haben.

Mir fällt nun auf, dass sein unten liegendes Bein stärker gewinkelt, verschoben und - an der Hüfte abgetrennt ist! Auch der Kopf ist unnatürlich verdreht, der Mund wie zum Schrei geöffnet. Der Torso ist aufgeschnitten, rechts aufgeklappt, ein weißes Ding: der Lungenflügel - liegt daneben. Die Brusthöhle ist leer. Ich betrachte das alles und wundere mich, dass ich so ruhig dabei bleibe.

Ich komme in den Fur, wo meine Mutter steht. Ich will ihr nun sagen, dass ich den Körper meines Vaters hatte einnähen wollen, was ich immer noch für völlig vernünftig und ehrenwert halte. Ich beginne zu sprechen, doch sie schneidet mir das Wort ab. Sie sagt: "Hier geht es um drei Pakete in schweren Kisten: den Picasso, den Moore und deinen Vater."

Sie will also, entnehme ich dem, alle drei zugleich transportieren, vermutlich weil sie es für praktischer hält. Ich selbst wäre zwar nicht auf so eine Idee gekommen - eine Begräbnis-Fahrt mit dem Transport von Kunstwerken zu verbinden, bin aber auch froh, dass sie sich einmal etwas vernünftig überlegt zu haben scheint. Ich blicke ihr ins Gesicht, doch sie scheint nicht betrunken zu sein, jedenfalls nicht sehr. Das Unberechenbare in ihren Augen kommt vielleicht nur von den Jahrzehnten der Trunksucht, die hinter ihr liegen. Ich frage mich, ob sie dann jetzt ungefährlich wäre.

 

 

© Anthony Thwaites