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September 2010

2010-09-28

Das Musikseminar Bunte Tasche

Ich sitze in einer Lehrveranstaltung, am Ende eines langen Tisches, aber nicht am Kopf. Als Leiter könnte ich mich wohl an den Kopf setzten, aber ich bin bescheiden. Der Tisch ist wirklich voll und ich fühle mich schuldig, weil ich nichts geplant habe. Andere hätten das in Segmente gegliedert und für jeden Punkt einen Stapel Unterlagen erarbeitet. Ich habe nichts.

Die Leute hier wissen gar nicht, dass ich der Leiter bin, die Frau neben mir sagt: "Ich warte auf die, was war das? - Bunte Sache?" Ich versuche mich zu erinnern, wie ich die Veranstaltung genannt habe, dann fällt es mir wieder ein: Bunte Tasche hatte ich in's Vorlesungsverzeichnis geschrieben. Eine Veranstalung zum Thema Musik, aber ohne festes Format. Das war mir wichtig.

Jemand hat ein Kassettengerät auf den Tisch gestellt, das Band läuft, jemand spricht zum  Thema und ich denke: Na gut, das ist ja vielleicht auch interessant, ich will den Teilnehmern ja alle Freiheit lassen. Aber dann spielt eine Musik, die sich dauernd wiederholt. Und spielt und spielt wie eine schäbige, bunte Kordel.

"Ist nicht gut", sagt eine Stimme, auch ich äußere Unwohlsein. Der Mann mit dem Gerät sieht es schließlich ein. 

Der Tisch ist inzwischen leer geworden, bloß noch zu fünft sitzen wir hier. Ich gebe mir die Schuld daran, weil ich die Veranstaltung nicht eröffnet habe. Die Leute sind das Warten wohl leid geworden.

Aber dann sehe ich doch wieder welche zur Tür hereinkommen: drei graue Gestalten.

Schließlich ist es doch wieder voll geworden, so sehr, dass sogar an einem quer stehenden Nebentisch lauter Feiernde sitzen. Unter ihnen ein Quartett, das spielt laute Musik, einer fiedelt mit einem langen Bogen. Wegen der Lautstärke mache ich mir Sorgen, denn vorhin, als das Gerät auf dem Tisch spielte, wurde das schon für zu laut gehalten. Und diese Musiker sind noch viel lauter.

Es ist dunkel inzwischen, Feuerschein erhellt die Szene und mir geht durch den Kopf, dass diese Veranstaltung mir völlig entglitten ist. Ich wollte den Teilnehmern Freiheit lassen, ein Fest sollte es aber nicht werden. Ich fürchte, der Ausdruck Bunte Tasche hat zu Missverständnissen geführt.

 

2010-09-22

In my broken house

The house is in such bad shape that I'm afraid I can't even sell it. Standing outside I'm talking about it to a woman friend who is a matchmaker by trade. I'm just saying: "What can I do? I can't afford to have it repaired and I can't spend all my time fixing it myself." Nonetheless she proposes that we should have a look. I agree, not too gladly.

The ground floor is wet, there are circular spots all over it, each with a small dot at the center. It looks slimy and disgusting, I'm not sure what it is. Maybe a kind of mould.

My friend now asks about upstairs. "What do you mean", I say, the attic?" - "Yes, would you mind?" I object that the roof is broken. But she'd like to see it. So we're giving it a tour.

Of course it's even worse than downstairs. The roof itself is more gap than roof and most of the beams look like driftwood. The floor is slimy wet, covered with the same kind of circular spots. I ask my friend what she thinks that this is. A kind of mould, she confirms.

We then hear voices from below. It is the master roofer with one worker and their lorry. Its loading space would take up old beams and debris. But having the roof replaced would strip me bare. Alternatively I could have the whole building pulled down. The presence of the workmen puts me under pressure to take a decision. - Possibly that's for the best.

Somehow I've been moved outside. I'm clinging to a corner of the facade. My friend is downstairs, worrying about me. She's calling out that I should grab a worn red grip that juts out behind the corner. It's moving: sticking out, then hiding itself.  I fail to grab it at the first attempt. She continues to counsel me from below.

 

2010-09-18

Versammlung mit mir

Wir Wissenschaftler sitzen zu viert an einer Bushaltestelle. Wir arbeiten an einem Projekt zur Rettung der Erde. Einer von uns ist anders als wir, ein hochrationaler Eierkopf ohne Gefühle. Ich sage zu ihm: "Ich bezweifle ja nicht deine Fähigkeiten, aber du verstehst uns nicht und wir verstehen dich nicht." Darauf können wir uns scheinbar einigen. Rechts von mir sitzt eine Biologin, die auch nicht dumm ist. Unter den Augen hat sie gelbe Schatten; weil sie gestern Abend gefeiert hat, erklärt sie. Na ja, sowas zum Beispiel geht dem Eierkopf völlig ab. Der kennt die Leiden eines Menschen nicht.

Wir sind abgeholt worden, unser Projekt ist gescheitert: Die ältesten und jüngsten Segmente der Erdbevölkerung sind verstorben. Das erscheint als Existenzkrise der Menschheit, auch wenn ich persönlich erleichtert bin, von den hässlichen Alten befreit zu sein. Nach unten schauend sehe ich ein Wickelkind, ein weiß bandagiertes, regloses Bündel liegen - und empfinde nichts.

Wir sitzen uns in einem durch die wüste Leere fahrenden Fahrzeug auf zwei lehmfarbenen Kunstlederbänken gegenüber. Jetzt kommt noch jemand durch's Fenster herein: eine junge Frau. Die wird, gleich da an der Tür, auf den einzigen, freien Platz gesetzt, der ziemlich schmal ist. So sitzt an ihren Ex gedrückt, einen hässlichen Kerl. Ich denke bedauernd, das muss man wohl akzeptieren, doch eine andere junge Frau, eine Große mit Pferdeschwanz, rechts von mir mitten auf der Bank, erklärt freundlich und entschieden: Das passt nicht. Die anderen stimmen zu, das macht mich froh, auch der unangenehme Ex widerspricht nicht. Wir können noch rücken, finden einen Platz für sie ganz in meiner Nähe. Das ist schön, denn ich mag sie. Ich hatte auch gar nicht gewusst, dass die beiden offiziell auseinander sind. Ich hatte das Gegenteil gefürchtet.

Eine etwas frivole, schöne Brünette zieht jetzt die Aufmerksamkeit auf sich. Eine neben ihr Sitzende sagt gerade zu ihr: "Du bist soo schön und so ein Ferkel!" Sie meint, dass ihre Haare stinken. Die Schöne nimmt's mit Humor, sie weiß es, sie hat wohl gestern Abend wieder gefeiert; sie hat sich dem nicht entziehen können und nimmt's nicht so genau. Ich finde, das macht sie noch sympatischer und werfe in die Runde: "Kommt erstmal der der Kopf unter'n Wasserhahn!"

Zwei kommen jetzt noch durch's Fenster: ein sehr kleines Kind und ein junges, schwarzhaariges Mädchen. Zwölf Jahre vielleicht, um den Kopf trägt sie eine hellgraue Binde, Kopftuch oder Verband, man weiß es nicht so genau. Es ist voll, so voll, dass sie gar keinen eigenen Sitzplatz findet, sondern irgendwie quer über uns liegt. Sie sagt, sie weiß nicht, ob sie bei uns bleibt. Ich mag sie, ich würde es schade finden, aber natürlich hat sie das Recht wieder zu gehen. Das Kind ist ein Wickelkind. Das sagt nichts.

 

Our hero in three parts

Our hero has encountered these adventures before. Now he wants to follow them right through with a view to gaining the treasures that are granted on successful completion of each task. The tasks are on a linear course, our hero starts walking on a rail elevated above a low dam. Actually I'd thought he'd be walking on a sword but this is just a rail, two fingers broad. Then he gets to a second part, one that he didn't complete before. Still walking the rail but one that is now split into two. Parallel blades, he's walking on their sharp edges. But he treads them down with his boots: bending the left one to the left, the right one to the right, the left one to the left, the right one to the right. And so on. That's a befittingly hero-like way to deal with this labor. Then he gets on to ... I guess this is the real walking on the sword bit. He has moved behind a blue-and-white structure that looks like a roller-coaster and there, I'm afraid, we see him in a sinking position. I'm scared that he's now in the process of being cut, right through the middle apparently. It would be a cut from between the legs upwards through the torso leaving him in two parts. We don't see him any more but hear him - crying out, which raises some hope because it proves him: not dead. He is calling out, his voice, with raised pitch, rising  from the pit beneath the razor; he's saying that he is in three parts. Now, I wonder, why three?

 

2010-09-15

Rache an dem Mann, der meinen Vater schlug

Auf dem Pflaster vor einer Mauer schlägt ein sehr großer Mann meinen Vater zusammen. Dann ist mein Vater fort und der Täter, Rücken zur Wand, sitzt auf dem Plaster. Er scheint verletzt zu sein.

Ich bin weit weg, im ersten Stock eines Hauses mit Giebeldach und denke, dass ich meinen Vater rächen, den Mann angreifen sollte. Ich will ihn schlagen und treten und wirklich fertig machen. In meiner Vorstellung beschwert er sich, dass er unter dem Hagel meiner Schläge ja gar nicht hochkomme. Ich sage, genau das sei beabsichtigt: dass er nicht hochkommen soll. So räche ich meinen Vater.

Leider tue ich das nicht wirklich.

Ich frage mich, ob diese Szene eine Erinnerung an etwas aus meiner Kindheit ist. - Vielleicht bin ich als kleines Kind einmal weggelaufen, während mein Vater geschlagen wurde? Vielleicht sah ich damals den Täter mit dem Rücken gegen eine Wand gelehnt sitzen und dachte, es wäre meine Pflicht gewesen ihn anzugreifen?

Jetzt renne ich doch los um meinen Vater zu rächen, um doch noch meine Pflicht als Sohn zu erfüllen. Ich komme aus dem Haus meiner Großeltern und renne quer über den Hof, über dieses grobe Plaster, dessen eingebackene Kiesel mir förmlich entgegenkommen, mich anspringen, steinigen, es schüttelt mich - elektrisch.

Ist das endlich die Erinnerung an alles?

 

2010-09-12

Latein in meinem Roman

Ich arbeite an meinem Roman. Gleichzeitig gehe ich aus dem Haus. Ich bin ziemlich heruntergekommen, auch unrasiert. Wie werde ich da wohl wirken? - Sollte ich nicht zurück, mich wenigstens rasieren? Kurz vor dem Ausgang, gerade arbeite ich an einer Passage unten auf der Seite, die noch handgeschrieben ist. - Sollte ich das nicht wenigstens tippen, bevor ich gehe? Ich folge der Schlange der Worte, das ist noch sehr verbesserungsbedürftig. Ich formuliere einen Satz neu, nun endet er mit einem französischen "d'accord". - Französisch, das geht nicht, was sollen denn da die Leser denken? - Das Fremdsprachige in meinen Gedanken wirkt aber weiter, während ich unablässig formulierend auf der Seite nach oben komme, wo der Text getippt ist. Hier, im Flattersatz, vor ein Komma, füge ich den Ausdruck: "in Compendium".  Latein also, das würde ja noch mehr auffallen! - Andererseits, überlege ich nun, ist ja bekannt, dass angesehene Autoren gerade solche Kunstgriffe verwenden. Das ist für die Leser ein bisschen schwierig, sie müssen Begriffe nachschlagen, aber gerade das überzeugt sie davon, dass sie etwas Besonderes lesen. Ein historischer Roman etwa wirkt dadurch authentisch. Meiner ist zwar nicht historisch, eher surreal-futuristisch, so will ich klar machen, dass die beschriebene Wirklichkeit von Ort und Zeit nicht abhängt. Allerdings könnte ich das vielleicht noch stärker betonen, wenn mit lateinischen Brocken zum Futuristischen das Vergangene käme, so erreichte ich noch besser eine Ablösung von der konkreten Zeit. Drei Häppchen tote Sprache auf jeder Seite, und ich würde als  gelehrter Autor geehrt! - Begeisterung fasst mich.

 

On the wrong side of the barrier

I want to cross the road, I'm stepping onto the tarmac. There is a red and white barricade to my right, reaching half across. A small car approaches fast from the left. I could make a step back but I don't. I don't know what I'm thinking - that the car can't hit me because it must stop anyway because of the barrier? It doesn't stop. It could sweve left and drive on. But it doesn't. The driver didn't reckon I would cross anyway. The car is getting dangerously close. If I were further along it could pass behind me. It's already there!

 

2010-09-09

The muggers down there

I have come by train. Standing at the edge of the platform, I'm looking onto a lower level: it is the space that I will have to cross, a reddish pavement with a shed, a conspicuous little box that reminds me of something unpleasant. I have misgivings having to pass down there. But that's nonsense, what could happen, am I not in bright mood?

I'm there now, crossing the red pavement while my valuables are floating around me a span above the ground in an irregular formation. Approaching the shed I'm becoming aware of a number of men in trenchcoats surrounding me more or less. It could be coincidence but they look dangerous and I'm somehow not surprised. Although expected, the situation is no less scary. I'm about to be mugged and powerless to do anything except walk on and wait for it to happen.

Passing the corner of the shed I see lurking in its shadow a man in a light trenchcoat, now he grabs my arm. Still impotently aware that I must somehow protect my floating goods from the nearing pack I'm trying to shake him off. That should be possible, this particular one looks thinner, smaller than the others. But try as I might I can't break his grip.

 

2010-09-06

Hoppe, Hoppe Reiter

Ich und ein junges Mädchen fliegen in einem kleinen, offenen Flugzeug mit nur einer Bank auf der man rittlings sitzt: sie hinten, ich vorn. Immer wieder rutschen wir auf der Bank nach vorn. Dabei muss man sehr aufpassen, weil die Bank dabei kippt, von hier oben wäre der Absturz tödlich. Sobald ich meinen Hintern hebe um nach vorn zu rutschen, merke ich wie unter mir die ganze Bank kippt, weil mein Gewicht sie nicht mehr waagerecht hält. Also muss zuerst die Kleine rutschen, sonst fiele sie in's Nichts. Darauf muss man also immer achten, was auf die Dauer ganz schön anstrengend ist. Ich rutsche nach vorn, sie mir nach, schon wieder passiert's: Man muss die ganze Bank ein Stück nach vorn schieben damit ihre Kufen die Lücke überdecken, die im Boden des Flugzeugs klafft.

Immer diese Gefahr. Ich hoffe, dass hört eines Tages auf.

Das Flugzeug fliegt auf einen Berg zu.

 

Der Sexbesessene

Der Mann macht einen tierischen Laut: "Diiie - diiiiiie", dann geht er auf die Frau los. Er hat sich schon die ganze Zeit nicht zurückhalten können. Sexbesessen, widerlich. Anscheinend macht die Frau das mit. Das passiert jetzt zum wiederholten Mal. Diesmal werden wir rausgeschickt, damit er freie Bahn hat.

 

2010-09-01

The abduction of the Japanese

We have abducted about a dozen young Japanese. When we did it, I simply didn't think. Or thought that evil lurks in the east. I just did what was expected of me. Now I'm beginning to feel horrible about it. I'm certainly the only one. I've just lost the other abductors in a crowd at the bottom of a boulevard amidst tall grey buildings. There is an aquarium at the corner. This whole affair is really bad. The van with the abducted is some way off in an abandoned parking lot. Not only my conscience is troubling me: I think they've seen my face and I'm scared of the punishment awaiting criminals such as myself. I enter the aquarium to take my mind off this horrible thing. Once inside I'm scared of being seen. So I leave again. My gaze is grazing the pavement, then my right hand; I realize that I'm looking at my wallet and that my fingers have been feeling it for some time. It is strange because just an hour ago when I and the other abductors were going to have something to eat I didn't have any money. I didn't have my wallet on me because I didn't have it on me when I met them before they came up with the idea of the abduction; and after it all happened I felt that there was no time to get it. So I asked one of the others to lend me just "two or three Euros" whereupon he at once gave me a large and shiny silver coin: a two-fifty piece. I hadn't seen anything like it. I still have that coin. Now I don't need it. I must remember to return it to him. But what happens if I don't find him and the others? - I imagine I would return to the van and - open the door to let them out. Run away quickly before they see me.

 

Cape Horn, where two monsters meet

A South American king was asked to take his monster to the sea south of Cape Horn in order to frighten the Pacific. His great snake came swimming there, turning where the oceans meet, making a loop to show off its monstous body. Then something far bigger approached from the West. It looked like the shadow of a submerged galley, oars sticking out. People were trying to explain it away as a school of small fish. But I knew it for an even larger beast.

 

 

 

© Anthony Thwaites